Nachdem sich die Albert-Schweitzer-Realschule in den vergangenen drei Jahrzehnten stets caritativ für die Belange der Lepra-Station in Bisidimo Äthiopien mittels Sponsorenläufen und zahlreichen anderen Aktionen engagiert hatte, stand das Kollegium im Vorfeld des alle zwei Jahre stattfindenden Sponsorenlaufs im vergangenen Herbst vor der eher undankbaren Aufgabe, neue Wege zu beschreiten und gemeinsam zu überlegen, wie wir in Zukunft vorgehen würden.
Einige Stimmen wurden laut, die meinten, hier in unserer unmittelbaren Umgebung gäbe es genug zu tun – angefangen beispielsweise beim Bergischen Kinderhospiz, über Projekte im Bereich der Flüchtlingshilfe oder aber den Kinderschutzbund bis hin zur psychologischen Beratungsstelle des Sanaklinikums.
Andere wiederum bedauerten, dass wir somit dem Namensstifter unserer Schule – Herrn Albert Schweitzer – nicht mehr gerecht würden und suchten nach neuen Aufgaben in der Entwicklungshilfe.
Im Zuge der sich rasch entwickelnden neuen Flüchtlingsdebatte jedoch fand sich alsbald ein Konsens, der darauf hinauslief, die Spendengelder zu gleichen Teilen sowohl hier im Inland als auch unmittelbar vor Ort in den Krisengebieten unserer Welt zu investieren.
Dabei lenkte Frau Gräfen unser Augenmerk auf ein Projekt der Kinderhilfe Bethlehem. Nach demokratischer Abstimmung wurde also beschlossen, dass die insgesamt 7.000 Euro zu gleichen Teilen an die Kinderschutzambulanz Bergisch Land des Sana Klinikums in Remscheid und an das „Caritas Baby Hospital“ in Bethlehem / Palästina gehen sollten. Unsere Intention bestand darin, die Menschen vor Ort besser zu versorgen, um ihnen das Leben dort so menschenwürdig wie möglich zu gestalten.
Da Frau Rouxel in jungen Jahren schon einmal in Israel gelebt hatte und sich auch auf Grund ihres Studiums der Semitistik zumindest mit den kulturellen Gepflogenheiten auskennt, beschloss sie kurzer Hand Frau Gräfen bei ihrem Besuch vor Ort zu unterstützen und diese zu begleiten.
So machten sich beide am 31.03.2016 mit gemischten Gefühlen auf den Weg zum Düsseldorfer Flughafen, von wo aus sie nach Tel Aviv fliegen sollten. Im Vorfeld hatten Freunde und Familie sie mehrfach befragt, ob das denn angesichts der weltweiten Terroranschläge – noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse in Brüssel – zu vertreten sei. Beide waren sich jedoch ihrer Entscheidung sicher, sich nicht diesem Terror beugen zu wollen.
Nach einer eintägigen Akklimatisierungsphase in Jerusalem – mit Besuch in Yad Vashem sowie der Klagemauer und Unterbringung inmitten der christlich-arabischen Altstadt Jerusalems unweit des Jaffa Tores, sollte es in den frühen Morgenstunden des 02. Aprils dann konkreter werden. Da samstags – dem jüdischen Sabbat – ja keinerlei öffentliche Verkehrsmittel fahren, hatte uns die Pressesprecherin des „Caritas Baby Hospitals“, Frau Livia Leykauf, ein arabisches Taxi organisiert, das uns um 10:30 Uhr außerhalb der historischen Stadtmauern abholen sollte.
Unser Fahrer Hani – ein in Jerusalem lebender, christlicher Palästinenser – erklärte uns zunächst, dass wir den zentralen Checkpoint unmittelbar an der Ortsgrenze zu Bethlehem passieren würden, wir deshalb auch schon mal unsere Visa bereit halten – und uns im Falle einer Befragung schlüssige Antworten zurecht legen sollten. Dies war nicht unbedingt erforderlich, denn wir hatten uns im Vorfeld schon auf allerlei Fragestellungen durch die Sicherheitsbehörden vorbereitet … wobei wir letztendlich völlig ungehindert nach Israel einreisen durften. Vielleicht auch deshalb, weil wir als Kontaktdaten Freunde von Frau Rouxel in Nordisrael angeben konnten.
Sowohl Israel als auch Palästina sind Länder des totalen Kontrastes und keiner, der nicht in diesen Ländern lebt, kann sich überhaupt ein Bild davon machen, in welchen Verhältnissen die Menschen dort leben: begegnet einem an einer Ecke noch ein hochmoderner Häuserblock, mit klimatisierten Lofts und Außenpools, kann es nur wenige Meter davon entfernt zu Bildern unvorstellbarer Armut und Elends kommen. Bei unserer Ankunft vor Ort am Caritas Baby Hospital trafen wir auf ein hochmodernes Klinikum – dem einzigen Kinderkrankenhaus im Westjordanland und auch in Ghaza.
Sogleich wurden wir von Frau Livia Leykauf in Empfang genommen – einer couragierten jungen Frau, die hier vor Ort seit Frühling letzten Jahres als Pressesprecherin beherzt die Außendarstellung des Klinikums in die Hand genommen hat. Wie sich im Verlauf unserer Führung durch die Räumlichkeiten der Neugeborenenstation und des Kinderkrankenhauses zeigen sollte, ist dies eine Aufgabenstellung, die einen ganz und gar in den Bann zieht, denn viele der Neugeborenen hier in Bethlehem leiden aufgrund der Eheschließungen mit Verwandten ersten und zweiten Grades unter Erbkrankheiten mit Konsequenzen wie Taubheit, Stoffwechselerkrankungen, unterschiedlichen Formen von Epilepsie, neurologischen Erkrankungen etc. etc.
Darüber hinaus beherbergt das Krankenhaus natürlich auch Kinder, die auf Grund der Schwere ihrer Erkrankungen auf unbestimmte Zeit hier behandelt werden müssen, denn ihre Versorgung zuhause könnte so nicht gewährleistet werden.
Für die umliegenden Orte ist dieses Krankenhaus ein Hoffnungsschimmer in der Ausweglosigkeit der allgemeinen Versorgungslage und auch der Perspektivlosigkeit der Menschen, denn dort gibt es kaum bezahlbare kinderärztliche Versorgung oder gar Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft wie Ultraschall o. ä. Somit werden gravierende Erkrankungen oft erst nach der Entbindung festgestellt. Aber gerade hier zeigt sich auch die Bedeutung des Caritas Baby Hospitals für die Region, denn es verfügt beispielsweise über ein hochmodernes Labor, das Familien im Bereich der Erbkrankheiten positiv und stärkend beraten kann.
Jeden Freitag und Samstag finden zusätzlich Spezialsprechstunden von Fachärzten statt, wobei manche Familien mehrstündige Anfahrten auf sich nehmen müssen, um ihre kranken Kinder geschultem Personal vorstellen zu können. So auch am Tag unserer Ankunft in Bethlehem. Geld für eine adäquate Behandlung haben diese Menschen nicht – leisten aber ihren Beitrag in Form von Zahlungen zwischen zwei – vier Euro, wobei so mancher evtl. nur zehn Euro pro Tag verdient.
Dass man unsere Ankunft erwartet hatte, wurde uns schnell bewusst, denn überall empfingen uns freundliche Gesichter, Kinder und Mütter – die uns bereitwillig gestatteten, sie fotografieren zu dürfen.
Frau Leykauf erklärt uns, dass unsere Anwesenheit für diese Menschen wichtig sei, da es ihnen zeige, dass man sie nicht vergessen habe und so eröffneten sie uns großherzig einen Einblick in ihr Leben, aber auch in ihr Leid – denn viele der Kinder, die uns begegneten, werden das Krankenhaus so schnell nicht wieder verlassen.
Zunächst jedoch erwartete uns der Besuch der Neugeborenenstation – ein Besuch, der jedes Frauenherz höher schlagen lässt, wenn man bedenkt, welche Strapazen diese Frühchen durchlitten – und wie sehr sie sich in dieses Leben hinein gekämpft haben. Ein Leben, das ihnen vieles bietet – nur derzeit leider wenig Hoffnung auf Stabilität, Wohlstand oder Frieden.
Auf dem Weg zur offiziellen Scheckübergabe an die Chefärztin des Krankenhauses, Frau Dr. Hyam Marzouqa, begegnete uns Maryam – ein etwa sechs Jahre altes Mädchen, das soeben Besuch von den Krankenhausclowns hatte und so gerne von uns fotografiert werden wollte. Was wir natürlich auch sehr gerne taten, denn selten läuft einem ein so nettes Motiv über den Weg – „Shoukran!“
Im Zimmer der Chefärztin dann erfolgte die symbolische Scheckübergabe. Die Ärztin, die in Deutschland studiert hat, erläutere uns, dass hier am Krankenhaus – bis auf wenige Ausnahmen – haupsächlich Einheimische tätig seien und das Ganze also auch in Zukunft relativ autark funktionieren kann. Also in gewissem Sinne ein nachhaltiges Entwicklungshilfeprojekt, das die Region in vielerlei Hinsicht stärken wird.
Die Spende der ASRS zauberte vielen Menschen hier ein strahlendes Lächeln ins Gesicht und wir bekamen mehr und mehr den Eindruck, dass wir hier genau richtig sind und unsere Hilfe gebraucht wird.
Weiter ging es zum Spielezimmer – einem Raum, der insbesondere allen Kindern sehr wichtig ist, die hier langfristig bleiben müssen. Drei dieser Kinder hatten zusammen mit ihrer Krankenschwester ein emotional sehr bewegendes Dankeschön für die Repräsentanten der ASRS gestaltet und überreichten dies stolz den beiden Damen aus Deutschland.
Shahal, der offensichtlich einen Blasenkatheter mit sich trug, erklärte Frau Rouxel gegenüber stolz auf Englisch, wie gerne er mal nach Deutschland käme und, dass er bald wieder die Schule besuchen wollte.
Hier war es wieder das Bedürfnis nach Normalität: eine Schule besuchen zu dürfen, Zukunftspläne zu schmieden. In unserer Welt eine natürliche Begebenheit – hier quasi ein Luxusgut.
Als sich unser Besuch schon fast dem Ende neigte und wir natürlich Fragen nach dem Alltagsleben der Menschen hier in Bethlehem stellten, gewährte uns Frau Leykauf völlig unvermittelt einen tiefen Einblick in das Leben hier vor Ort.
Seit geraumer Zeit hat sie sich einer jungen Frau namens Mouna angenommen (Anmerkungen siehe unten). Wir trafen Mouna und ihre jüngste Tochter Rinna, die sie gerade aus dem Kinderhort des Krankenhauses abgeholt hatte am Ausgang der Krankenhausanlage – nur wenige Minuten Fußweg von der Mauer entfernt, die Palästina von Israel trennt.
Sie lud uns ein zu sich nach Hause: eine Reise in die reale Welt Bethlehems begann – fernab von romantisierenden Klischees, die einem bei diesem Namen auf Anhieb einfallen würden.
Zunächst begannen wir unseren Fußmarsch entlang der alle trennenden Mauer. Obwohl Moun diesen tagtäglich mit der zweijährigen Rinna auf dem Arm zu Fuß zurück legt, stiegen wir alsbald in ein Taxi ein, ohne jedoch den Preis ausgehandelt zu haben, was im Verlauf der Fahrt zu hitzigen Debatten führte.
Nach einer holprigen Fahrt bergauf, bergab landeten wir schließlich in der Nähe des einzigen Kindergartens, der bereit war ihre vierjährige Tochter aufzunehmen, da diese möglicherweise geistig zurückgeblieben ist und erst mit vier Jahren Laufen gelernt hat. Ein Kindergarten mit einer engagierten Erzieherin namens Claudia, die hier knapp 28 Kindern, verteilt auf drei Räume so etwas wie Normalität bietet – inklusive Vorschulerziehung und Englischunterricht.
Bei Mouna zuhause angekommen, machte sich Frau Rouxel zusammen mit Wahid, ihrem zehnjährigen Sohn, auf in den arabischen Souk, um nicht mit leeren Händen bei dieser Familie zu erscheinen.
Wahid spricht fließend Französisch und dolmetschte die Gespräche mit den Händlern. Er erzählte Frau Rouxel von seiner Zeit in der christlichen Schule, die von französischen Franziskanermönchen geleitet wurde. Seit der Schließung der Schule besucht Wahid derzeit leider keine Schule mehr.
Den Grund hierfür offenbarte später seine Mutter, die uns erzählte, dass sie ihre Söhne nicht mehr ruhigen Gewissens in öffentliche Schulen schicken könne, da der Lehrer der zuletzt besuchten Schule beispielsweise offen dazu aufrief, sich am Nachmittag gemeinsam an Gewaltaktionen gegen israelische Soldaten zu beteiligen. Da sie um das Leben ihrer Söhne fürchtet, kann sie den Schulbesuch nicht mehr verantworten.
Die einzig mögliche Alternative sind Privatschulen. Diese wiederum sind allerdings unerschwinglich. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn man den Tageslohn ihres Mannes berücksichtigt: dieser repariert tagaus, tagein Smartphones auf dem nahe gelegenen Markt und verdient an normalen Wochtentagen in etwa 40 Israelische Shekel (entspricht in etwa 10 Euro). Die Jahresgebühr zum Besuch einer Regelschule, die ihren Kindern eine Zukunft in Aussicht stellen könnte, kostet ca. 3.000 Israelische Shekel (entspricht etwa 760 Euro). Frau Leykauf machte uns darauf aufmerksam, dass sie eigens zum Anlass unseres Besuches das Licht anschaltet habe – ein Luxus, den sie sich nur selten gönnen.
Aus den ursprünglich drei angedachten Stunden unseres Aufenthaltes wurden nun doch sechs und wir bereuen nicht, uns die Zeit genommen zu haben. Als Lehrern ist uns natürlich die Bedeutung von Bildung bewusst und häufig werden wir in unserem Schulalltag damit konfrontiert, dass wir unsere Schülerinnen und Schülern beinahe dazu überreden müssen, doch an diesem hohen Gut teilzuhaben. Etwas beklommen saßen wir in unserem Taxi, das uns sicher durch die Grenzkontrolle wieder nach Jerusalem zurück brachte.
Im Gepäck nach Deutschland hatten wir auch das selbst gemalte Bild der Kinder aus dem Krankenhaus. Wir werden es in Ehren halten und ihm einen Platz in unserer Schule sichern und natürlich werden wir allen, die es hören wollen, von unseren Eindrücken und Begegnungen vor Ort erzählen … auf dass niemand in Vergessenheit gerät!!
Weitere Infos zum „Caritas Baby Hospital“
* Anmerkungen der Redaktion: Namen dritter unbeteiligter Personen wurden von der Redaktion bewusst verfremdet und entsprechend abgeändert
Text und Fotos: G. Gräfen/S. Rouxel